Beitrag 1 von Ildikó von Kürthy

Schreiben wir gemeinsam! Über das, was bleibt.

Manchmal frage ich mich, ob die Reste des Luftballons, der sich vor vielen Jahren am Geburtstag meines Sohnes ganz oben im Baum verfangen hat, dort wohl noch im Wind flattern wird, wenn ich selbst längst Geschichte bin?  Ich frage mich, wer früher in unserem Haus gelebt, gelacht, geweint hat und gestorben ist. Ich liebe es, mir die Geschichten von uralten Tapeten auszumalen, die bei Renovierungsarbeiten zum Vorschein kommen und manchmal ziehe ich das Nachthemd meiner Mutter an. Es ist kein Prachtstück und ich sehe darin aus wie ein gespenstisches Nudelholz. Sie trug es vor 25 Jahren, als sie ins Krankenhaus und nie wieder nach Hause zurück kam. Manchmal gehe ich über den Bürgersteig vor meinem Elternhaus, lege meine Hand auf das alte Gartentor oder umarme, wenn keiner guckt, den Magnolienbaum im Vorgarten. Und dann denke ich, dass vielleicht noch ein paar kleine Eltern- oder gar Großeltern-Moleküle durch die Luft schweben, vielleicht gibt es noch einen mikroskopischen Nachweis von Vaters Schuhen auf dem Asphalt. Wo sind deine Spuren? Und wo werden meine sein? Wer wird sich noch an mich erinnern, wenn meine Restruhezeit abgelaufen und mein Grabstein auf dem Friedhof für Grabsteine gestrandet ist? Wenn ich meinen Söhnen abends von der Oma und dem Opa erzähle, die sie nie kennengelernt haben, frage ich mich, ob das alles ist, was von uns bleibt: Ein Nachthemd, eine Gute-Nacht-Geschichte, oder die Überreste eines Luftballons, hoch oben im Baum? 

Beitrag 2

Autor: Andi S.

Beim Betrachten der Vergänglichkeit beschleicht mich zugleich ein Hauch Melancholie,
schau nur in die glänzenden Augen Deines geliebten Partners,
was für eine Lebensfreude, welch Blick in die Tiefe,
aber eines fernen Tages werden sich die Hände der Liebenden nicht wie von selbst finden,
wie also sollte die achtsame Betrachtung der eigenen Sterblichkeit ein Schlüssel zum Glück sein?
In dem man die Gewöhnlichkeit abstreift und erkennt wie wertvoll die Zeit des Lebens ist,
das Fenster zum Dasein hat sich geöffnet,
nun sehe ich in einem einzelnen Tautropfen den ganzen Ozean,
ein feiner Lichtstrahl erinnert mich an die Sonne,
und ein kleiner Glücksmoment ist mein großes Glück.
Was bleibt sind einzelne Momente der Erinnerung,
der Nachmittag am Strand, die Wanderung auf den Berg,
eine laue Sommernacht und der Blick in den Sternenhimmel,
das Bauen von einem Staudamm an einem Bach,
durchgefroren vom Schlittenfahren nach Hause kommen.
Man sollte sie erlebt haben,
die kostbare Augenblicke für die Ewigkeit.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Danke, liebe Andi, für diesen schönen Text! Er erinnert mich auf der Stelle daran, wie wichtig es ist, kleinen Glücksmomenten große Beachtung zu schenken. Herzliche Grüße! Deine Ildikó

Beitrag 3

Autor: Heidemarie Meyer

Ein TAG, ein JAHR, ein LEBEN
WAS bleibt?

Wieder ist ein Jahr vergangen.
Die Tage flogen schnell dahin
und der Dezember stellt uns Fragen,
nach dem Leben, nach dem Sinn.

Der Sinn, liegt er im Leben selber?
In Freud und Leid? Im Augenblick?
Der winkt uns zu als will er sagen,
sieh her, ich kehre nicht zurück!

Der Frühling hast Du ihn empfunden?
Warmer Regen, milde Luft,
das erste Grün auf Deinen Wegen,
Vogelstimmen, Veilchenduft!

Der Sommer hast Du ihn gesehen?
Sonnenschein und Blumenpracht.
Hörtest Du das leise Rauschen
einer lauen Sommernacht?

Der Herbsttag, hast Du ihn gekostet,
den Apfel mit dem goldnen Blatt?
Ein voller Korb mit reifen Früchten.
Die Arbeit machte froh und satt!

Der WINTER sagt, komm setz dich nieder!
Zünd an ein Licht und hör Dir zu!
Die Melodie, kennst Du sie wieder?
Stimm ein - DAS LEISE LIED BIST DU!

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Oh ist das schön, liebe Heidemarie. Bin mit Deinen Zeilen durch mein eigenes Jahr gegangen. Danke! Deine Ildikó

Beitrag 4

Autor: Christina Frey

Spuren hinterlassen. Spuren entstehen immer retrospektiv. Rückblickend. Rückblick. Spuren setzen ein zurückliegendes Ende voraus. Und sei es nur jenes eines winzigen Schrittes. Eines Atemzugs. Eines einzigen Moments. 
Mit dem Ende befassen wir uns zu Beginn unseres Lebens kaum. Viele wenden sich dem Ende erst ab ihrer zweiten Lebenshälfte langsam und zögerlich zu. Ich hingegen - alte Seele - nahm dieses Thema Jahrzehnte früher in Angriff. Oder es griff mich an. Je nachdem, von welcher Perspektive aus man es betrachtet. Das Ende so ziemlich vom Anfang an. Fluch und Segen zugleich.

Das erste prägnante Ende war jenes der Ehe meiner Eltern. Ich war neun Jahre alt. Das mag jetzt vielleicht etwas hart klingen – durch die Augen einer Neunjährigen war es das damals auch. Aber der endgültige Abschied von meinem Vater als Mitbewohner unseres Einfamilienhauses am schönen Land draußen sollte nicht mein einziger prägender bleiben.

Es folgten Tage, mit denen die Meisten von uns im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden. Tage, die wir als „normal“ im Lebenslauf eines Menschen bezeichnen würden. Der Tod der Großeltern. Der Tod des ersten eigenen Haustieres. Auch bei mir kamen diese Tage – und auch, wenn sie schwer waren: Sie vergingen. 
Ich habe meinen Großvater sehr geliebt. Er hat in mir und in meinem Leben viele Spuren hinterlassen. Sichtbare – wie eine Tätowierung seiner Unterschrift, die meine zarte Haut unterhalb meines linken Knöchels ziert – sowie unzählige unsichtbare. Wenn ich heute auf meinem alten Schreibtischstuhl in meinem Elternhaus sitze, fühle ich mich noch immer wie damals, als wir beide noch gemeinsam von ihm Gebrauch machten: ich auf dem Schoß meines Großvaters, der auf diesem besagten Stuhl saß, welcher über viele Jahrzehnte in seiner Werkstatt im Keller gestanden hatte. Dieser Stuhl könnte Bände erzählen – Geschichten, bis die Sonne unter- und wieder aufgeht. Und danach wieder unter. Dieser Stuhl schließt auch den Kreis meiner alten Möbel, die ich über alles liebe. Sie alle können Geschichten erzählen. Haben es schon unzählige Male donnern gehört. Jedes einzelne Stück stammt von einem anderen Plätzchen dieser Erde; und dennoch sind sie alle bei mir gelandet. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich alte Möbelstücke ihre BesitzerInnen aussuchen. Vielleicht jene, die all die Spuren lesen und verstehen können, die an ihnen hinterlassen wurden und nicht spurlos an ihnen vorübergegangen waren.

Spurlos: Ich meine, so etwas gibt es in diesem Leben gar nicht. Nichts hinterlässt keine Spuren. Und das ist vielleicht auch gut so. Denn das Leben ist eine einzige Spurensuche: Auf den Spuren von Freiheit, der Vergangenheit, der Zukunft und sich selbst. Man ist auf den Spuren der Liebe – und entdeckt dabei, dass auch geliebte und gelebte Lieben Spuren hinterlassen (haben). Ich bin in dieser Hinsicht ein sehr gebranntes Kind. Die Narbe der Spur meiner ersten großen Liebe ist enorm: Ich habe sie im zarten Alter von nur 17 Jahren an den Selbstmord verloren. Dem ging ein jahrelanger Kampf voraus: ein Kampf um Zuwendung, Aufmerksamkeit, Freiheit, Selbstfindung, Nähe, Distanz, um Höhepunkte und am Ende – ums (Über-)Leben. Am 9.März 2008 war er es dann, der den Kampf verlor. In den ersten Tagen und Wochen nach diesem Tag war ich von dieser nun plötzlichen Kampfgegnerlosigkeit mehr als vor den Kopf gestoßen. Ich hatte „gewonnen“ – und gleichzeitig so vieles verloren, dass ich es selbst heute, mehr als 13 Jahre danach, noch nicht gänzlich in Worte fassen kann. Dieses Ereignis hat mich unsagbar geprägt: Ich hätte kurz danach beinahe die Schule geschmissen – was meinem Leben im Vergleich mit dem Heute einen nicht vorhersagbaren Twist gegeben hätte. Mir entzog sich der Boden unter meinen Fußen und der Himmel über mir klappte über Nacht zusammen – die Welt stand still. Aber eines habe ich an diesem Tag – wenn auch schmerzlich – gelernt: Der Tod ist der beste Lehrer für unser Leben. Nichts und niemand könnte es uns eindringlicher und besser begreifbar machen, wie wir unser Leben gestalten sollen. Und mit dem Wie meine ich keine kilometerlangen To-do-Listen mit Dingen, die „man“ im Leben gemacht haben muss. Sondern ich meine damit ein Gefühl; eine Schwingung in der eigenen Mitte; eine Erfüllung, Ruhe und Zufriedenheit, die ihresgleichen sucht. 
Der 9.März 2008 hinterließ, wie gesagt, enorme Spuren in mir und in meinem Leben. Furchen. Aber ich war noch jung – und hatte Schicksal sei Dank noch viel vor mir. Was ja keine Selbstverständlichkeit ist, wie ich gelernt hatte. Knapp 5 Jahre und ein paar müßige und non-funktionale Beziehungsversuche später lief mir mein heutiger Ehemann (erneut) über den Weg. Wir hatten uns vom Sehen bereits Jahre gekannt. Waren viele Nächte lang im gleichen Altstadtlokal als Jugendliche unterwegs gewesen. In der Zeit und danach waren wir beide oft jahrelang an irgendjemanden vergeben – und dennoch war bei uns beiden niemand dabei gewesen, der genug Spuren in uns hinterlassen hätte, um uns den Glauben an den Zauber der (wahren) Liebe nehmen zu können. Wir haben uns nie gesucht, aber hatten uns plötzlich gefunden. Und beim Gedanken daran, wie sich das alles zugetragen hatte, kann meine Seele nur einen großen Seufzer der Erleichterung und Befreiung ausstoßen: denn dieser Mann ist mehr als ein Segen für mich und für mein gesamtes Leben. Noch nie habe ich jemanden getroffen, der mich derartig gut ergänzt, begleitet, (falls nötig) zurechtweist, (unter)stützt, auf den ich immer zählen kann, mit dem ich nächtelang diskutieren und über das Leben und das gesamte Universum philosophieren kann und der mich dennoch so einfach und so bodenlos liebt, wie es noch nie jemand anderer zuvor getan hat. Er kennt mich so gut, dass er eine Gebrauchsanweisung zu mir verfassen könnte. Diese wäre zwar lang und vermutlich (weil notwendig) auch sehr detailliert – aber vielleicht würde mich die Welt und ihre Menschen dann etwas mehr verstehen und besser „handhaben“ können.
Da mir mein – unser aller Ende – an den meisten Tagen sehr bewusst und präsent ist, fällt es mir (vermutlich) leichter als anderen, mein Leben bewusst(er) zu gestalten und das Lebenswerte aus dem Alltag (!) zu gewinnen anstatt nur aus den Wochenenden und Urlaubstagen im Sommer. Ich habe mir angewöhnt, meinem Mann beinahe jeden Tag explizit zu sagen, dass jeder Tag mit ihm ein guter Tag ist. Es ist nebensächlich, ob wir an dem Tag stundenlang miteinander Zeit verbringen können oder nur abends gemeinsam vor dem zu Bett Gehen noch kurz eine Tasse Tee trinken; ob wir uns liebevoll in den Armen liegen oder heftig diskutieren – vielleicht sogar streiten; ob wir stundenlang miteinander lachen oder uns nur ein kurzes Lächeln zuwerfen bevor wir uns auf den Weg zur Arbeit machen. Es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Jeder Tag mit ihm ist ein guter Tag. Weil unsere Liebe eine ganz besondere Qualität aufweist. 
Ich habe meinem Mann das Versprechen abgerungen, dass ich vor ihm von dieser Welt gehen darf. Denn nur ungern würde ich diesen unsagbar tiefen Schmerz ein zweites Mal spüren müssen. Ich finde, ich habe mein Soll diesbezüglich für dieses Leben getan. Klar, Abschiede werden immer wieder kommen – und ich kann durch besagtes Ereignis auch etwas anders damit umgehen, denke ich (zumindest mit den Abschieden, die andere Menschen zu bewältigen haben). Ich muss jedoch zugeben, dass meine Biographie auch eine konstant mitschwingende Angst in mir ausgelöst hat, dass es sich bei diesem Versprechen nur um ein Scheinversprechen handeln könnte. Aber ich versuche mein Bestes, darauf zu vertrauen, dass sich alles zum Besten richten wird. Wie auch immer das Beste dann aussehen mag. Falls es nur ein Scheinversprechen war, so kann ich es meinem geliebten Mann zumindest abnehmen, jemals einen derart unbeschreiblichen Schmerz spüren zu müssen. Und bis dieser Tag da ist, mach ich mich ab Herbst diesen Jahres mal auf den Weg, um zukünftig andere am Weg zum eigenen Tod bzw. nach dem Tod eines geliebten Menschen professionell psychotherapeutisch unterstützen zu können. Ich will da hinsehen und hingehen, wo sich viele Menschen umdrehen und wegsehen (müssen): auf die Onkologie, auf Palliativstationen, in den Bereich der Trauerbegleitung und -bewältigung. Vielleicht werde ich auch doch noch mal Bestatterin – das Leben und seine Wege und Möglichkeiten sind grenzenlos. 
Ja, das Leben hat Spuren in mir hinterlassen. Aber es hat mich nicht gebrochen. Im Gegenteil. Ich bin stärker daraus hervorgegangen als je zuvor. Und ich werde diese Stärke nutzen, um positive, heilende und nährende Spuren in den Leben anderer zu hinterlassen.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Christina,

vielen Dank für diesen wunderbaren Text, diese detaillierte, offene und bewegende Schilderung der Spuren, die in Ihrem Leben hinterlassen wurden und die Ihr Leben bereits hinterlassen hat.

Was mich besonders freut und was ich sehr bewundere ist, wie Sie sich nun entschlossen haben, heilsam tätig zu werden. Trotz oder auch wegen der Verletzungen, die Sie selbst davongetragen haben.

Ich wünsche Ihnen und den Menschen, die Ihnen begegnen, alles alles Liebe!

Herzlich, Ihre

Ildikó

Beitrag 5

Autor: Angela Burkhardt

Was bleibt zum Schluss? Das habe ich mich immer wieder gefragt, als es meinem Papa im letzten Jahr immer schlechter ging. Und dann noch diese Ungewissheit: WANN ist der Schluss? Wie lange haben wir noch Zeit, um zu planen? Klappt es mit der Pflege bei uns zu Hause? Können wir das als Familie schaffen? Und wird es dem oftmals so ungeduldigen Papa bei uns gefallen? Was bleibt am Schluss von einem immer vor Kraft strotzenden, schwer arbeitenden Mann, der sich selten etwas gegönnt aber für andere immer alles gegeben hat? 
Am Schluss war es für uns alle ein wunderbares Geschenk, diese letzten Wochen in heimeliger Atmosphäre, die lichtdurchflutete Weihnachtszeit und das langsam vergehende Lebenslicht. Eine Mischung aus Angst, Genießen, Erschrecken, Weinen, Erinnern.. Intensive Zeiten der körperlichen Nähe, flankiert von pflegenden Tätigkeiten und dem wieder zum Kind werdenden wunderbaren Menschen, der kurz vor seinem 80. Geburtstag seine letzte Reise antrat. Um nichts in der Welt möchte ich diese missen. Ein „Ich hab dich lieb“ kurz vorm Übertreten der Schwelle in die Ewigkeit kann nicht jeder seinem Lieblingsmenschen noch ins Ohr flüstern! Und hat nicht gerade DAS ein jeder Mensch verdient? 
Was bleibt zum Schluss? 
Dankbarkeit, Liebe und ein leerer Sessel und Herzen voller überquellender Erinnerungen.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Ach, liebe Angela, danke für diesen wunderbaren Text der, obwohl er vom Tod eines geliebten Menschen handelt, so tröstlich und warm und hell ist! Wie wunderbar, dass Dein Vater so liebevoll begleitet gehen durfte. Umarmung von Deiner Ildikó

Beitrag 6

Autor: Monika Bliesener

Brief an meinen ungeborenen Enkel  
Ich treffe Vorbereitungen für deine Geburt im neuen Jahr. Im Januar soll es sein. Nicht gerade die freundlichste Zeit des Jahres. Wie soll ich dich empfangen, du unbekanntes Wesen, das ich ja noch nicht kenne, dass das Licht der Welt noch nicht erblickt hat? Es wird kalt sein draußen, das steht fest. Warmes soll dich umhüllen, also erwecke ich meine handarbeitlichen Fähigkeiten wieder und stricke: Strampelsack, Decke, wärmende Schühchen, Handschuhe und eine Puckdecke. Mein Sohn, dein Papa, sagt: Zum Einpucken des Babys und Herr oder Frau Google gibt mir die Antwort, was das ist. Eine Einwickeltechnik, die dir ein Empfinden wie im Mutterleib vermitteln soll. Aus reiner mulesinfreier Schurwolle, so ist die Vorgabe. Wenn schon bio, dann richtig. Einpucken, das kannte ich bisher nicht, wie so Vieles, was die neue Zeit junger Erdenbürger betrifft. Aber ich lerne.
Wenn du auf die Welt kommst und ich dich zum ersten Mal in den Armen halten werde, wird es vielleicht geschneit haben und ich werde auf dem Weg zu dir Spuren hinterlassen haben. Und Spuren meines Lebens werde ich vor mir sehen.
Vielleicht bist du auch so aufgeweckt, neugierig und wissensdurstig, wie ich es war und wirst mit großen Augen die Welt bestaunen und entdecken wollen. Ich war als Mädchen der abenteuerliche und mutige Junge, den meine Eltern immer wollten. Wirst du als Junge- das wissen wir bereits- genauso am Rockzipfel deiner Mutter hängen wie mein Bruder, so beschrieben es meine Eltern, oder wirst du ausschweifen wie dein Papa damals, nicht zu halten sein, und wenn du es dann gelernt hast, rennen, dich nahezu rastlos bewegen, rennen? 
Oder wie ich damals aus der Enge der 2-Zimmer- Wohnung im 4. Stock entfliehen und jeden Sonntag, der bei uns zu Hause ganz ohne Kirche auskam, den kleinen gelben Teddy gut zugedeckt im ovalen Handkörbchen spazieren tragen und ihm deine kleine Welt erklären?
Obwohl wir, wie es bei dir sein wird, in der Großstadt wohnten, waren wir frei. Mein Vater, dein Urgroßvater Karl-Heinz, brachte mit seiner Arbeit als Elektriker auf dem Bau das Geld nach Hause. Später lernte auch er, neben seiner Arbeit, und machte seinen Meister. Damit es uns mal besser gehen sollte. Er fand dann einige Jahre danach auch bessere und angemessene Arbeit. Bei der Stadt im Büro, Maschinen- und Heizungsamt. Deine Urgroßmutter Waltraud kümmerte sich um alles Häusliche, was damals viel beschwerlicher war als heute, ohne Waschmaschine und Zentralheizung. Im wahrsten Sinne des Wortes holte sie für uns die Kohlen aus dem Feuer und vorher ganz ohne Aufzug aus dem Keller. So waren sie mit der Beschaffung der Dinge des alltäglichen Lebens beschäftigt, während wir, mein vier Jahre älterer Bruder und ich auf der Straße tollten und rannten. Auf den Baustellen des neu erwachenden Lebens des Wirtschaftswunders nach dem Krieg Räuber und Gendarm und Verstecken spielten. Klar, ein paar wenige Autos gab es schon. Aber wir wohnten in einer langgezogenen Sackgasse mit vielen neu entstehenden Mietshäusern und vielen Kindern. Dort lernte ich das Roller-, Rollschuh und Fahrradfahren und erweiterte fast täglich meinen Radius, entdeckte meine Stadt. Diese Ecken mit Kneipen, Kiosk, kleinen Läden und Einkaufstreffs gibt es teilweise heute noch. 
Später dann, als ich 12 Jahre alt war und es für das Erfassen, Schreiben und Rechnen noch keine Computer gab, ging meine Mutter mit der damals noch nötigen und erstrittenen Erlaubnis meines Vaters als Stenotypistin und Kontoristin wieder arbeiten. Vormittags in Teilzeit und wir hatten damit dann genug Selbständigkeit, um in Eigenregie auch mal die ersten Stunden der Schule zu schwänzen, weil der Schulbeginn um 7.20 Uhr einfach zu früh war. Sicher habe ich das öfter gemacht als mein Bruder, der ganz anderen Schwierigkeiten ausgesetzt war. 
Meine Spuren, die ich auf dieser Welt hinterlassen werde, sind gelegt und gegangen, auch wenn in naher Zukunft durchaus noch neue entstehen können. 
Deine Spuren, die du hinterlassen wirst, stehen noch in den Sternen.
Einen großen Unterschied zu mir wird es geben. Das, was du mit auf diese Welt bringen wirst, wird und kann gesehen und wird gefördert werden. Deine Großeltern, Rüdiger und ich, wurden hineingeworfen und haben einiges ausgehalten, haben viel probiert, liefen so mit, nahmen, was kam und sich ihnen bot. 
Ich durfte lernen und entdecken, die damals streng nach Geschlecht getrennten weiterführenden Schulen blieben nicht mehr nur für die Elite geöffnet. Das half. 
Welche Spuren ich hinterlassen habe, was mich und meine Erfahrung geprägt hat, das erzähle ich dir dann. Das Gute werde ich an dich weitergeben, versprochen!
Und so hoffe ich, dass dir alles Gute im Leben gegeben sein wird. Und sollte es mal schlecht sein, ergreife die Chance und lerne daraus! Lernen, das ist es wohl, - lebenslang, ein Leben lang.
Deine Mutter sagt, dass du wie dein Papa, heute schon ständig in Bewegung bist.
Bleib so, das kann nicht schaden. 
Herzliche Grüße 
Deine Fast-Großmutter Monika im Dezember 2021

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Großmutter Monika!


Ist er schon da? Dein bewegungslustiger Enkelsohn? Ich wünsche ihm ein langes, schönes Leben. Eine wunderbare Oma hat er ja schon mal :-)

Ich bin auch im Januar geboren worden - wirklich kein besonders schöner Monat. Aber immerhin kann Dein neugeborener Enkel so in das neue, erblühende Jahr hineinwachsen, und wenn er zum ersten Mal seine Umgebung richtig wahrnimmt, werden die Blumen blühen und wird die Sonne für ihn scheinen!

Danke, liebe Monika, für Deinen Text und Deine Erinnerungen. Ich bin sicher, Du wirst noch mehr Spuren hinterlassen, die Deinem Sohn und Enkelsohn ihren eigenen Weg ein wenig leichter machen werden.

Herzlich!

Deine

Ildikó

Beitrag 7

Autor: Monika Bliesener

Baskisches Reishuhn und der Valentins-Geburtstag
Mein 68ster Geburtstag findet, dieses wie jedes Jahr, am 14. Februar statt. Heutzutage gleichzeitig der Valentinstag, der im letzten Jahrhundert, in dem ich geboren wurde, nicht bekannt war und nicht gefeiert wurde. Mein Geburtstag schon, nicht als Kindergeburtstag, auch den gab es erst bei meinem Sohn, sondern ein immer begangener Festtag mit Tage vorher selbstgebackenen Kuchens, Kaffee und Abendessen mit Tanten und Anverwandten. Dabei wurde ausnahmsweise das gute Kaffeegeschirr benutzt, die Sammeltassen aber blieben ausgestellt und im Schrank. Den eigenen Geburtstag nicht auf diese Art und Weise zu begehen, kam einem Affront gleich. Später als Jugendliche an diesem Ehrentag auszugehen war bei uns zu Hause nicht drin, auch nicht einen Geburtstag der Familienmitglieder zu verpassen. Ich erinnere mich an einen Brief, den ich selbst noch als junge Erwachsene mit viel schlechtem Gewissen meinem Vater schrieb und mich dafür entschuldigte, an seinem Ehrentag nicht vor Ort sein zu können. Auch mit den Geburtstagswünschen und -geschenken war das nicht ganz so einfach. Spätestens als ich 16 wurde, wurde -damals nicht wirklich zu meiner Freude- Silberbesteck und Geschirr, das ich wenigstens selbst hatte aussuchen dürfen, geschenkt; als Krönung und Teuerstes an einem der Geburtstage die versilberte Soßenkelle. 

Mit dem baskischen Reishuhn hatte das alles noch nichts zu tun, genauso wenig, wie Speisen aus aller Welt in Deutschland damals weder gekocht noch angeboten wurden. Highlights für uns waren Pizza und Spaghetti bei „Da Bruno“, dem ersten Italiener der Stadt. Das war’s dann aber auch.

Da nun auch dieses Jahr mein Geburtstag auf den Valentinstag fällt, ich aber nicht großartig feiern wollte und sich auch gerade die Omikron Corona Variante auf einem Hoch befindet, hatten eine Freundin und ich bei einem unserer mittäglichen Restauranttreffen die Idee, den Geburtstag mit dem Valentinstag zu verbinden und uns abends ein entsprechendes Menü zu reservieren, uns was Leckeres in entspannter Atmosphäre zu gönnen.

In der Zwischenzeit kamen das Leben und unser erster Enkel dazwischen. Und schließlich wollte ich meinen Sohn mit Familie an meinem Ehrentag ja auch sehen. Bisher sind wir oft abends zusammen essen gegangen, aber mit einem ein Monat alten Winzling gestaltet sich das als etwas schwierig.
Immer noch ein leckeres Valentinsmenü vor Augen, überlegte ich also, was es zum Beispiel bei ihnen zu essen geben könnte, was wir mitbringen könnten. Was haben wir lange nicht gekocht und was haben wir immer gerne gemeinsam gegessen? Denn die Kaffee- und Kuchenkultur an Geburtstagen ist ja nun schon lange zugunsten aufwändiger Menüs aus der Mode gekommen. Entsprechend habe ich von der Aussteuer 12 x gutes Kaffeegeschirr, aber nur 6x Essgeschirr. Anderes Geschirr ist inzwischen für den Tagesbedarf auch vorhanden. Und für das Huhn zu viert würde das allemal reichen.
Zum ersten Mal habe ich dieses damals mir noch unbekannte Gericht kurz nach der Geburt von meinem Sohn in Nürnberg bei meiner Freundin Evi gegessen. Zu diesem Zeitpunkt war ich eine etwas verzweifelte Neu-Mutter, die ihr Kind stillte und verunsichert war von den ständigen Ermahnungen ihres Umfeldes, ihr Kind bekäme nicht genug zu essen. Fast war ich am Verzweifeln, denn am Tage war ich allein, die Verwandtschaft weit weg im hohen Norden und Stillerfahrung hatte meine Mutter nicht. Die hatte man in den 50er Jahren den Frauen gleich ausgetrieben, denn es gab ja Milumil.

Meine Freundin Evi hatte genau die Erfahrung, die ich brauchte, bemerkte meine Verunsicherung und Verzweiflung und bot mir an, ein paar Tage bei ihr zu verbringen, mich mal nur um das Kind und nicht alles andere im Haushalt zu kümmern. Das war bahnbrechend. Der letzte Abend wurde dann mit dem mir damals unbekanntem baskischen Reishuhn gekrönt. Ein Huhn, in Knoblauch, Öl und Thymian angebraten und in Speck, Paprika, Tomaten, Champignons und Wein geschmort. Saftig und schmackhaft und nicht so dröge, trocken und ohne weiteres Gemüse, wie ich es bisher aus der deutschen Küche kannte. Das gepaart mit den entspannten Tagen mit dem Säugling, brannte sich so nachhaltig in mein Gedächtnis ein, dass ich mir das Rezept von Evi aufschreiben ließ. Noch heute befindet sich ihr handschriftlicher Aufschrieb in meinen alten Rezeptesammlungen. 

Mein Mann erzählte mir aus seiner Erinnerung, dass er dieses damals für uns noch unbekannte Gericht das erste Mal mit 17 auf einer Gewerkschaftsfreizeit in Séte (Frankreich) an der spanischen Grenze gegessen hatte.
So vieles kam neu auf, nicht nur exotische Rezepte wie Curryhuhn mit Ananas und Reis, was mein Sohn ansonsten von je her ein sehr guter Esser, nie mochte, warme Ananas, igittigitt. So auch der Römertopf, der Topf aus Ton, in dem man laut Angaben fettarm und schonend kochen konnte. Die Mittelmeerkost machte der deutschen Küche langsam Konkurrenz, zumal die Menschen den kalorienzehrenden Wiederaufbau ja abgeschlossen hatten und körperliche Arbeit durch Automatisierung immer mehr ersetzt wurde.  
Und da das baskische Reishuhn im eigentlichen Sinne ein Ofenhuhn ist, haben wir das mitsamt neu erworbenen und gewässertem Römertopf und damals noch ganzem Huhn (Teile gab es noch nicht zu kaufen) ausprobiert. An einem Sonntag, an dem bei uns immer ausgiebig und aufwändig gekocht wurde als Ausgleich für unser wöchentliches Kantinenessen. Kochen, die Leidenschaft meines Mannes, das ihn entspannt wie die Gartenarbeit, in diesem Fall aber auch meine, denn, wie mein Sohn sagt, hatte ich ja das Rezept auf den Plan gebracht und er sich jedes Mal wieder darauf gefreut, wenn ich es am Wochenende kochen wollte. Geschnippelt haben wir fast alle alles gemeinsam, den rohen Schinken und bunten Paprika in Streifen, Champignons gewaschen und zerteilt, Tomaten in Stückchen. Kochwein geöffnet. Olivenöl, Thymian und Knoblauch waren schon in unsere Küche eingezogen, das Huhn darin angebraten. Und dann alles 1,5 Stunden in den vorgeheizten Ofen. Kurz vor Ende Reis zubereiten und den Esstisch decken. Wenn es uns ganz Besonders zumute war, dann sogar mit dem Silberbesteck und dem zeitlosen guten und als Neuheit schon damals spülmaschinenfesten Geschirr aus meiner Aussteuer, die ich dann im Nachhinein doch noch zu schätzen wusste. 
Es war immer ein Fest, die Aromen, die das Haus zwei Stunden lang durchzogen- und – so sagt der Sohn heute noch- es gab immer viel Wein- für ihn natürlich erst als er älter war.
Schönes Wochenende, so hatten wir das öfter, mit und ohne Huhn, aber immer lecker gekocht. „Ob wir das auch mal so hinkriegen?“, fragt sich der frischgebackene Familienvater, als ich mich nach seiner Erinnerung an dieses Essen erkundigte. 
Warum also nicht diese Zeit zu meinem diesjährigen Geburtstag wieder hervorholen mit Huhn und Valentin bei Sohn und Familie in der nahegelegenen Großstadt. Denn wir wollten das Huhn bei uns zu Hause im Römertopf zubereiten und dort – damit sie keine Arbeit und Fahrerei haben- mittags servieren und zelebrieren. Das ginge gar nicht, so der Kommentar meines Sohnes, wenn schon baskisches Reishuhn, dann absolut originalgetreu und stilecht bei uns zu Hause und keinen Deut vom Rezept und dem bekannten Geschmack abweichend. Aber dieses Mal mit noch mehr Familie, mit Frau und dem genau an diesem Tag einem Monat alten Neugeborenen. 
Na, wenn das kein Ehren- und Valentinstag inklusive Menü mit meinen Lieben ist! Vorbereiten werden wir das Essen aber dennoch schon am Tag zuvor, genauso wie die selbstgekochte rote Grütze, auch so ein Klassiker. Vielleicht prägen sich dann an meinem diesjährigen Geburtstag die Aromen und Gerüche schon bei unserem Enkel ein und die Erinnerung an das Gericht wird an die kommende Generation weitergegeben. 
Meine beste Freundin fragte mich vor ein paar Tagen, was ich an meinem Geburtstag mache. Das besagte baskische Reishuhn kannte sie bisher nicht. Sie bat um das Rezept und will es auf jeden Fall einmal für und bei sich nachkochen. So geht die Reise des Huhns weiter. Es ist nun nicht mehr ein Huhn, wie mein Sohn, der selbst kreierte Wortspiele liebt, es beschrieb, das in den Reisfeldern Chinas aufgewachsen und in den baskischen Untergrund gegangen ist, sondern es hält Einzug in immer mehr Küchen rund um die Welt.
Manchmal eben auch als Familientradition und Kindheitserinnerung.
Monika Bliesener

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Monika! 

Herzliche Glückwünsche nachträglich zu Deinem Geburtstag! 

Bei Deinen wunderbaren Schilderungen von der Reise des Reishuhns habe ich nun unfassbaren Appetit bekommen und Lust, es nachzukochen. Würdest du mir das Rezept schicken? 

Herzliche Grüße und alles Liebe! 

Deine Ildikó

Beitrag 8

Autor: Dagmar Juknevicz

Hallo.
Da habe ich mir das aktuelle Buch "Morgen kann kommen" bis heute aufgehoben, damit ich noch seehr lange etwas davon habe. Aber nachdem ich mich über 2 Jahre dem Virus entziehen konnte, sagt mein Schnelltest vor Pfingsten "positiv" und somit habe ich genug Zeit zum Lesen. Ich habe schon auf den ersten 19 Seiten wieder mal das Gefühl gehabt, mich in den Personen wiederzufinden: Geschieden seit 9 Jahren, 51 Jahre alt, Single (DAS ist auch so ein Thema für sich. Wer hat gesagt, es gibt zu jedem Topf den passenden Deckel? Ich habe nach 2 Beziehungen aus Online Portalen eigentlich keine Lust mehr darauf. Besonders nach Kommentaren wie : "Auf Dicke steh ich sowieso nicht!" oder "Ich suche eine sinnliche Stute mit großen Melonen!" Aber WO sollte man sonst heute noch wertvolle, tolle Männer kennenlernen, die alleinstehend und nicht zu schrecklich sind?!) seit 1,5 Jahren und die Kinder sind ausgezogen. Jetzt lebe ich mit meiner adoptierten, tauben und dementen Katze (17) zusammen, die Töne von sich gibt, die ich noch nie gehört habe, habe meinen Job nach 11 Jahren gewechselt und fahre nun 70 Minuten quer durch Hamburg zur Arbeit, um abends allein vor dem Fernseher en Krimi zu schauen. Aber rein biologisch habe ich meinen "Dienst" getan. Kinder bekommen und großgezogen und die Wirtschaft unterstützt, wie ich konnte. Vielleicht sind es die Wechseljahre- ich habe zunehmend das Gefühl, DAS WAR´S. Schrecklich und realistisch zugleich. Was bleibt also zum Schluss? Ich möchte die Hoffnung auf einen "zweiten Frühling" nicht aufgeben, aber es wird eben nicht einfacher.
Ich freue mich daher in jedem Fall auf das Buch, weil ich den Schreibart liebe und danke für dieses Geschenk.
Übrigens war ich bis Seite 19 gekommen und fühlte mich schon wohl. Ab Seite 21 musste ich herzlich lachen, da die Dogge MEINEN Namen hat: Dagmar. Ich wiege leider keine 70 kg mehr, aber freue mich, dass dieser so furchtbare Name wenigstens hier Gutes tat!

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Dagmar! 

Ich liebe deinen Namen, ich verbinde ihn mit viel Gutem, nämlich einer meiner besten Freundinnen. Ich kann dich so gut verstehen. Dieser Tiefpunkt in der Mitte des Lebens, an dem habe ich mich auch befunden. Dieses schreckliche Gefühl: Das Beste liegt hinter mir. Aber, wenn es Dich beruhigt, auch das ist nur eine Phase im Leben. Sie geht vorbei. Und auch wenn es kein zweiter Frühling ist, der auf Dich wartet, so kann es doch ein goldener Herbst sein. Ich fühle mich, nachdem ich mich aus dem Tief wieder hochgerappelt  habe, heute voller Zuversicht und Kraft und kann mir tatsächlich vorstellen, dass noch eine ganze Menge Gutes vor mir liegt. Ich schicke dir herzliche Grüße und eine Umarmung und ganz viel gute Energie für die nächste Zeit! Sehr herzlich! Deine


Beitrag 9

Autor: Tanja Hanewald

Ich schaue auf unsere ruhige Seitenstraße hinaus und sehe die alte Dame an ihrem offenen Fenster im Erdgeschoss, wie sie den Kopf hinausstreckt und sich mit den Unterarmen auf dem Rahmen abstützt. Sie muss dort öfter sein, denn wenn ich sie sehe, dann immer zu unterschiedlichsten Zeiten.
Oft sagen die Leute ja „Die Alten, wie sie immer aus dem Fenster sehen, um ja Alles mitzubekommen!“ und regen sich dann noch darüber auf. Aber fragen sie sich, wie es für sie selbst einmal sein wird?
Ja, sie sieht immer aus dem Fenster und ja, sie tut es, um Alles mitzubekommen. Sie will doch schließlich noch am Leben teilnehmen, also hat sie auch alles Recht dazu, oder nicht? 
Keiner von uns weiß, ob sie noch in der Lage ist einen Spaziergang an der frischen Luft zu tun oder ob diese wenigen Schritte in ihrem Haus die einzigen sind, die sie noch leisten kann. Keiner von uns weiß, ob sie Familie hat oder ob die Freunde in ihrem Leben schon längst tot sind.
Aber wie sollten wir das auch wissen, wenn wir mit gesenktem Haupt an ihr vorbeilaufen, sie nicht grüßen, weil wir uns „beobachtet“ fühlen, auf der anderen Straßenseite gehen, damit wir ja nicht (Gott bewahre) in ein Gespräch mit einer „Alten“ verwickelt werden. Denn dafür haben wir ja gar keine Zeit und schon gar keinen Nerv.
Es ist traurig. Es tut mir leid. Aber ich klammere mich an den Gedanken, dass sie zufrieden ist, wenn sie aus ihrem Fenster in die Welt hinausschauen kann und dass es ihr Freude bereitet. Und wenn ich das nächste Mal die Gelegenheit habe, laufe ich bei ihr vorbei, lächle und grüße sie freundlich. Und ich weiß, dass dies nicht nur ihr gut tun wird, sondern auch mir selbst.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Tanja! Weißt du was!? Dein Beitrag hat mich so bewegt, dass ich in Zukunft die alten Menschen, die an ihren Fenster stehen, um am Leben teil zu haben, mit ganz auf unseren Augen sehen werde. Ich werde Ihnen zuwinken und Ihnen und mir damit etwas Gutes tun. Danke! Herzlich! Deine Ildikó