Beitrag 1 von Ildikó von Kürthy

Schreiben wir gemeinsam! Über unsere Kindheit.

Kindheit ist ein Märchen. Eine rührende oder auch haarsträubende Geschichte, die oft wenig mit Wahrheit und Realität zu tun hat. Kindheit ist das, was wir mit Kinderaugen wahrnehmen – und da wird so mancher, eigentlich harmlose Schatten zum bedrohlichen Monster, die Erkrankung der Mutter zur existentiellen Bedrohung oder die Scheidung der Eltern zum Trauma des Kindes, das sich daran schuldig fühlt. Wie gut, dass man als Erwachsener die Möglichkeit hat, die Manipulationen zu erkennen, die unser Unbewusstes an unseren Erinnerungen vorgenommen hat, wie ein Halbstarker an seiner Enduro. Je älter wir werden, je mehr endgültig erreicht oder auch endgültig nicht erreicht ist, desto mehr sollten wir uns fragen, wie es wirklich war. Woher wir kommen, warum wir so sind, wie wir sind, was für Altlasten wir im Lebensgepäck haben und ob es nicht an der Zeit ist, wenigstens einen Teil von ihnen abzuwerfen? 

Beitrag 2

Autor: Elli Drenkow

Natürlich - mit allen Stärken und Schwächen, die jeden Menschen ausmachen. Gerade die Elternschaft bringt uns das Menschsein näher - wir entwickeln mehr Empathie und Verantwortungsbewusstsein - plötzlich sind wir nicht mehr nur für uns verantwortlich, sondern auch für jene kleinen Wesen, die völlig hilflos und auf uns angewiesen das Licht der Welt erblicken - im besten Fall in ein gesundes Zuhause mit Geborgenheit, Wärme und ganz viel Liebe. Elternschaft öffnet den Blick für andere Menschen im Umfeld, lässt uns genauer hinsehen und vielleicht auch Missstände mutig aufdecken, wo andere wegsehen.
Elternschaft bringt mit Sicherheit auch Überforderung und Hilflosigkeit, Ängste, Verzicht und Selbstzweifel. Der Mensch kann sich aber nur weiterentwickeln, wenn er sich diesen "Widrigkeiten" stellt. Wir wachsen mit unseren Aufgaben - oft gebrauchte Phrase, aber sehr wahr, finde ich. Elternschaft ist eine Aufgabe, der wir uns meistens gewollt stellen und den Menschen in uns auch stolz machen auf das, was aus uns entstanden ist. Unsere Kinder leben in uns weiter und geben ein winzig kleines Stück der Menschen "Eltern" auch an die nächste Generation.
Dabei sollten wir die Würde, die heute leider allzu oft ins Hintertreffen gerät ( man sehe sich nur die aktuellen Fernsehangebote an) nicht aus den Augen verlieren. Werte des Menschseins an unsere Kinder in unserer Eigenschaft als Eltern weiterzugeben, betrachte ich als ein hohes Gut, das nicht zu gering geschätzt werden darf.
Hier könnte man endlos weiter schreiben...


Kommentar von Ildikó von Kürthy

Danke, liebe Elli, auch für diesen menschlichen und warmen Text. Bei mir hat es ein wenig gedauert, dass mir klar wurde, wie sher meine eigenen Eltern eben auch Menschen waren, mit eigenen Sorgen, Lasten und Unzulänglichkeiten. ich arbeite daran! Herzlich! Deine Ildikó

Beitrag 3

Autor: Clärchen



Dies scheint mir eine der schwierigsten Sonntagsfragen für mich zu sein;
vermutlich wegen der gefühlten Unmöglichkeit, alle diesbezüglichen Ambivalenzen und sich teils widersprechenden Gefühle auf eine Seite zu bringen. Allen/m gerecht zu werden.
Zumal sich Sicht und Wahrnehmung im Verlauf des Lebens da auch mehrfach geändert haben und weiter ändern, es nie die eine endgültige Wahrheit/Version gibt. Und schon gar nicht Vollständigkeit.

Wahrscheinlich ist es mir nicht möglich, über meine Eltern zu schreiben, ohne folgende Begriffe zu benutzen: „Kriegskinder, Bescheidenheit, Armut, fromm, streng katholisch, traumatisiert, gläubig, doublebind, Fassade, Heile-Welt-Familie-Anspruch, Tabus, Heilige, Strenger, Musik, Singen, Wandern, Berge, Naturverbundenheit, Kirchenchor, 3 Töchter und keine Enkel, hilfsbereit, aufopfernd, spießig, stark, bemüht, altmodisch, bieder, Genuss, im Kern schwer nahbar, erwartungsvoll, positiv-denkend, vermeidend, durchhaltend, widersprüchlich“

… und wohl auch nicht über mein Verhältnis zu ihnen ohne die Worte: „Dankbarkeit, offene Fragen, Unsicherheit, Ohnmacht, Abhängigkeit, aufbegehren, Zumutung, anpassen, Rockzipfel, Protest, Bindungsstörung, Stolz, Scham, Angst, Schuldgefühle, frohmachenwollen, beschützenwollen, erlösenwollen, nichtzurlastfallenwollen, erreichenwollen, loslösenwollen, festhaltenwollen, Liebe…

Letzteres wieder mehr und mehr spürbar, nach Jahren des inneren und teils auch äußeren Kampfes, der Abwendung, endlich (!) Wiederannäherung auf vorsichtige und erwachsenere Weise, so dass mir klar wird, nicht im Kopf sondern im Gemüt, es sind Menschen, die ein Leben vor und nach der Kindererziehung hatten und haben, während sie jetzt Älter(e) werden, manches vergessen, während sie noch selbständig sind, während meiner Wechseljahre, während einer Pandemie, während des ständigen Präsentseins unser aller Endlichkeit; vielleicht weicht das vieles auf, vielleicht muss das so sein, vielleicht geht es den meisten so, vielleicht ist es der Lauf der Zeit und dennoch jedesmal einzigartig. Alles zu seiner Zeit gelebt. Sie haben mir vorgelebt, zu tun, was man kann, so gut man kann.
Das hier ist das, was ich heute dazu schreiben kann.

Danke für den Schreibimpuls, liebe Ildikò,
und für Deinen achtsamen Umgang mit all den offenen Texten hier!

herzliche Grüße,
Clärchen ;-)

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebes Clärchen!


Du beschreibst den ewigen und wandelbaren und komplexen und vielseiten Prozess, wie sich die Einstellung gegenüber den eigenen Eltern verändert präzise und warmherzig - das gibt mir viel Stoff zum Nachdenken.

Danke für die Inspiration!

Herzlich!

Deine

Ildikó

Beitrag 4

Autor: Marita Gotti

Es ist genau diese Frage, an der ich gerne und oft verzweifle. Darf ich als Mutter auch Frau, Tochter, Geliebte, Arbeitende mit Anspruch auf Karriere, Leihoma, Freundin und Nachbarin sein? Oder muss ich doch eher als Therapeutin, Krankenschwester, Financière, Bürokraft, Erinnerungssoftware, ewig Schuldige und Projektionsfläche für jegliches Versagen herhalten? Meine jüngere Tochter würde die erste Frage mit Ja und die zweite mit Nein beantworten, meine ältere Tochter hingegen würde alles mit Ja beantworten und sich weiterhin nach dem zweiten Schema verhalten. Wann endlich kann ich sie guten Gewissens gehen lassen, wann endlich wird sie erwachsen und übernimmt die Verantwortung für ihr Handeln und Ihre Entscheidungen? Wann sieht sie ein, dass sie ohne professionelle Hilfe nicht weiterkommt? Wann hört sie auf, sich selber und allen Menschen, die sie lieben und schätzen, weh zu tun? Manchmal möchte ich schreien, treten, trampeln und mit Dingen um mich werfen. Auf sie werfen? Auf mich? Muss ich mein Leben lang dafür bezahlen, dass ich mir den falschen Vater ausgesucht habe, dass ich zu wenig Zeit mit dem Kleinkind verbrachte weil ich arbeiten wollte und musste? Ich bin doch da, immer und immer wieder. Ich höre zu, ich interessiere mich, ich unterstütze wo ich nur kann, ich gebe Liebe und Liebe und nochmal Liebe, auch wenn jeder andere Mensch längst die Flucht ergriffen hat. Mensch Mutter! Oder Mutter Mensch? Wann erlaube ich mir einfach nur Ich zu sein?

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Liebe Marita!


In deinen Zeilen lese ich die Verzweiflung und die Wut mit der, glaube ich, die allermeisten Müttern immer wieder zu kämpfen haben. Bloß geben es viel zu wenige so offen zu, wie Du! Dabei tut es doch so gut, zu hören, dass man mit diesen Gefühlen nicht alleine ist, dass sie zum Guter-Mensch- und zum Gute-Muttersein dazugehören! 

Ich wünsche Dir und uns allen weiterhin viel Kraft - und danke Dir für Deine Offenheit und den Satz, über den ich mich schmerzlich kaputtgelacht habe: "Erinnerungssoftware, ewig Schuldige und Projektionsfläche für jegliches Versagen." 

Herzlich! Deine Ildikó

Beitrag 5

Autor: Tanja Hanewald

Ja, das sind sie! Und ich, als Kind im Erwachsenenalter, habe die verdammt große Aufgabe, es ihnen auch zu "erlauben"!
Was macht das Mensch-Sein aus? Der Mensch trifft Entscheidungen, manchmal gute, manchmal weniger gute. Denn der Mensch kann nicht alles wissen. Aus diesen Entscheidungen werden Erfahrungen. Mit denen geht er dann um, manchmal gut, manchmal weniger gut. Denn er ist nicht unfehlbar.
Kommen wir zu den Anforderungen an die Eltern. Diese sollen (gefälligst): Alles wissen, immer gut sein, (mir) immer helfen, immer zur Stelle und verfügbar sein, auf alle Fragen die richtigen Antworten haben! Puh... mir wird gerade bewusst, wie selbstsüchtig das klingt. Das ist der Punkt, an dem ich mich selbst fragen muss: Sind sie so anders als ich? Haben sie nicht auch Ängste? Haben sie nicht auch kleinere oder größere Sorgen und Probleme? Macht es sie deshalb weniger liebenswert?
Trotz aller Fehler und/oder (Fehl-)Entscheidungen in der Vergangenheit, trotz schlechter Erfahrungen und Schicksalsschlägen, weil sie auch "Mensch" waren und sind, sind sie doch meine Eltern... UND sie haben sich für MICH entschieden. Für das winzige und schreiende Mädchen, als Baby neben all den anderen Babys liegend. Ich fiel ihnen sofort auf, sie sahen mich und wollten mich. Das Schicksal hat uns zusammen geführt, denn sie konnten keine eigenen Kinder bekommen. Sie haben mir nicht nur ein Zuhause, sonder auch ihre Liebe geschenkt, die niemals vergeht. Und das macht sie für mich zu so besonderen Menschen und ich liebe sie dafür.
Also ja... Eltern sind auch Menschen. Das dürfen sie und das sollen sie auch sein. Und ich nehme sie in ihrem Gesamtpaket-Mensch an, so wie sie mich (wie selbstverständlich) auch im Gesamtpaket angenommen haben.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Danke, liebe Tanja! Dein Text ist wunderbar - wie du Eltern beschreibst, die Anforderungen die an sie gestellt werden, wie menschlich sie sind mit all ihren Fehlern – und dann die überraschenden Tatsache, dass deine Eltern sich ganz bewusst für dich entschieden haben. Dass sie dich ausgesucht haben. Das hat mich total bewegt. Und es macht noch einmal deutlich, dass unsere Eltern, die sich ja alle für uns entschieden haben, unsere Liebe und Anerkennung verdienen, mit all ihren menschlichen Unzulänglichkeiten. 

Danke dafür! 

Herzlich! Deine Ildikó

Beitrag 6

Autor: Christiane Seidel

Sind Eltern auch Menschen? Eine interessante Frage, auch wenn gerade nicht Sonntag ist, sondern Freitag Abend.
Ich kurz vor meinem 50. Geburtstag stehe, als Mutter zweier Kinder. Einem 22 Jahre altem Sohn und einer zehnjährigen Tochter....

Ich glaube diese Frage kann ich mir mit mit zunehmendem Alter, Lebenserfahrung, eigener Geschichte jedes Jahrzehnt aufs Neue stellen. Zur Zeit würde ich sie folgendermaßen beantworten: Ja- Gott sei Dank sind Eltern auch "nur Menschen", sonst könnten wir Ihnen und folglich auch uns als Eltern nicht die Fehler verzeihen, die sie in unseren Augen gemacht haben, bzw. die wir auch zwangsläufig machen.

Ich bin als Scheidungskind bei und mit meiner Mutter aufgewachsen. Ich schreibe bewusst mit meiner Mutter, da sie mir als damals 21 Jahre alte Frau, eher wie das Kind vorkam, als ich. Ich hatte das Gefühl, Verantwortung tragen zu müssen für sie. Warum auch immer... dieser rote Faden hat mich durch mein Leben getragen. Eine Zeit lang hat er mich wütend gemacht. Wütend auf meine Mutter, meinen Vater, ja sogar auf mich selber. Ich fühlte mich als Opfer. Aber heute in der Mitte des Lebens, oder dem überschrittenen Mittelpunkt meiner Reise hier auf Erden, bin ich dankbar. Dankbar für das was ich erleben durfte. Auch wenn es nicht immer einfach war. Aber es hat mich geformt, mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich merke, auch ich mache Fehler in der Erziehung, bin ungerecht, zu locker, zu streng, zu ...
Es gibt immer irgendwas, was "zu... ist". Aber auch ich bin "nur Mensch".

Übrigens merke ich heute, wo meine Mama älter wird, die Verantwortung liegt wieder bei mir, aber heute mache ich es bewusst und gerne.

Kommentar von Ildikó von Kürthy

Das stimmt. Sie sind Menschen und deswegen können wir ihren verzeihen. Danke und herzliche Grüße!